Praxistip: Heft 01/1995 (S. 208) 2 Seiten
Vektorisierte Grafiken haben gegenüber gescannten Zeichnungen den Vorteil, daß man sie nachträglich leichter verändern kann. Nur, vollkommen automatisch läuft das nicht, will man gute Ergebnisse bei der Vektorisierung von Strichzeichnungen erzielen. Welche Punkte also gilt es zu beachten?
Zunächst: am besten eignen sich schwarzweiße Zeichnungen zum Tracen. Zwar bieten die Vektorisierungsprogramme auch die Möglichkeit, farbige Vorlagen umzuwandeln, es ist aber häufig schneller und einfacher, farbige Zeichnungen als Schwarzweiß-Version einzuscannen und sie erst nach der Vektorisierung einzufärben.
Fast alle Grafikapplikationen bieten Utilityprogramme zum Vektorisieren an. In der täglichen Praxis hat sich jedoch ein `Spezialist´ - Adobe Streamline - bestens bewährt. Dieser zeigt, im direkten Vergleich zu den Utilities, qualitativ deutlich bessere Resultate. Die Bedienung ist obendrein einfach und intuitiv erlernbar. Bereits mit den Standardeinstellungen erzielt man gute Ergebnisse. Die hohe Umwandlungsgeschwindigkeit rundet den erfreulichen Eindruck ab.
Voraussetzung für das Tracen ist ein Pixelbild. Im Gegensatz zur allgemeinen Meinung lassen sich im 1-Bit-Schwarzweißmodus beim Einscannen schwarzweißer Zeichnungen nicht die saubersten Ergebnisse erzielen. Und liegen die Bilder erst einmal so vor, sind keinerlei Optimierungen in den Strichstärken mehr vornehmbar. Kommen die Bilder dagegen als 8-Bit-Graustufenscan, kann man die späteren Trace-Ergebnisse noch beeinflussen.
Durch Veränderung des Kontrastes beim Graustufenbild lassen sich die Linienstärken verändern. Zudem erlaubt dies, unsaubere Linien der Skizze in der Schwärzung zu verbessern. Erst nach der endgültigen Bildoptimierung wird das Pixelbild in ein 1-Bit-Schwarzweißbild konvertiert.
Beim Trace-Vorgang unterscheidet man grundsätzlich drei verschiedene Methoden. Für die Mittellinienvektorisierung wird eine Linie in vorgegebener Stärke entlang der im Bild vorhandenen Flächen hergestellt. Die resultierenden Polygone können bequem mit Füllmustern versehen werden. Diese Methode ist dann empfehlenswert, wenn es nicht auf variable Konturstärken ankommt.
Will man dagegen den zeichnerischen Charakter einer Grafik möglichst gut erhalten, bietet sich die Konturmethode an. Dabei werden pro Fläche zwei Polygone erzeugt, die übereinander liegen. Die untere Fläche ist schwarz, das aufliegende, kleinere Polygon weiß. Da viele Grafikprogramme die Funktion enthalten, Polygone zu `verschmelzen´, kann man auf Wunsch die beiden sich ergebenden Flächen nachträglich in ein einzelnes Polygon verwandeln. Ob dies einen sinnvollen Nutzen bringt, hängt von den gewünschten Ergänzungen der Vektorgrafik ab.
Die dritte Methode stellt verschiedene Effekte bereit, die das vektorisierte Bild zum Beispiel wie einen Holzschnitt aussehen läßt. Bei farbigen Vorlagen erzeugt man damit unter anderem einen `Posterize´-Effekt durch die Reduzierung der Farbanzahl.
Das Beispielbild der Stifte wurde mit dem Konturmodus vektorisiert. Als Scanvorlage diente eine Bleistiftzeichnung, die nach dem Scannen im Kontrast so hart eingestellt wurde, daß alle Linien ein sattes Schwarz aufwiesen.
Da jedes Schwarzweißpixelbild unsaubere Konturen aufweist - es fehlt bei den 1-Bit-Bildern das begradigende Antialiasing - besitzen alle Trace-Programme eine Funktion, mit der man Zacken in den Linien ausgleichen kann. Diese Werte werden im Programmpunkt `Toleranz´ eingestellt. Um diese `Zacken´ von vornherein weitestgehend zu minimieren, sollte das Bild mit der höchstmöglichen Scannerauflösung eingelesen werden. Dabei ist es ratsam, eine Vorlage zu verwenden, die ungefähr DIN A4 groß ist. Bei kleineren Vorlagen können nur ungenügende Ergebnisse erzielt werden. Liegt die Schwarzweißvorlage nur als kleinere Version vor, sollte man diese mit einem Fotokopierer vergrößern. Die etwas schlechtere Qualität der Kopie wird durch das deutlich bessere Trace-Ergebnis ausgeglichen.
Ob die Strichstärke durch Kontrastveränderung revidiert werden muß, kann man mit einem Trace-Versuch leicht feststellen. Da das Vektorisieren einer Datei je nach Bildgröße nur wenige Sekunden dauert, lohnt es sich, mehrere Versuche durchzuführen. Die einmal ermittelten Werte lassen sich bei jeder weiteren Umwandlung wieder benutzen, so daß sich ausführliche Testläufe bezahlt machen.
In der Regel führt man alle Proben zuerst mit den Standardwerten aus, dabei ergeben sich bereits akzeptable Ergebnisse. Zur Überprüfung des Resultats sollte die Datei anschließend möglichst groß ausgedruckt werden, um sicherzustellen, ob das Ergebnis der Vorlage entspricht.
Normalerweise brauchen nur wenige Faktoren verändert zu werden, um das Resultat zu optimieren. Ein wichtiger Faktor für das Ergebnis ist die Einstellung, ob man ein Bild überwiegend in Geraden oder in Kurven umwandeln will. Dabei sollte eine Variante gewählt werden, die möglichst viele Kurven enthält, da dies zu saubereren Ergebnissen führt. Weil die Knotenanzahl jedoch anwächst, kommt es zumeist zu einem Kompromiß: bei den meisten Vorlagen eignet sich ein Verhältnis von 40 Prozent Geraden zu 60 Prozent Kurven. Je nach Vorlagenart kann der Wert etwas differieren.
Als zweites muß ermittelt werden, welche Vektorisierungsmethode - Mittellinie oder Konturlinie - für eine gute Bildwirkung besser geeignet ist. Auch bei dieser Auswahl spielt die Charakteristik der Grafik eine wichtige Rolle.
Enthält das Ergebnis zu viele zackige Kurvenverläufe, wurden entweder die Werte der Toleranz zu niedrig eingestellt - hier empfiehlt sich ein Wert von ungefähr 8 Pixeln -, oder die verwendete Vorlage war zu unsauber.
Kommt es beim Import in das Grafikprogramm zu zerrissenen Flächen, besteht in den meisten Fällen ein einzelnes Polygon aus zu vielen Eckpunkten. Die überschüssigen Knoten werden vom Grafikprogramm unterdrückt. Dieses Manko kann man beheben durch Glättung der Pfade nach dem Tracen. Dabei wird die Anzahl der Eckpunkte reduziert. Ein einzelnes Polygon sollte im Normalfall nicht mehr als 500 Knotenpunkte enthalten. Wird beim Reduzieren der Punkte das Bild zu negativ beeinflußt, muß die Vorlage in mehreren Teilabschnitten umgewandelt werden.
Sinnvollerweise speichert man die vektorisierten Bilder im EPS-Format, da so beim Import in die meisten Grafikprogramme die wenigsten Probleme auftreten. Oft läßt sich die erstellte Vektordatei - wenn alle Werte optimal eingestellt wurden - ohne Modifikationen direkt in DTP-Dateien verwenden. Noch einmal, nichts geht vollständig von selbst, für optimale Linienverläufe müssen zumeist alle Knotenpunkte entfernt werden, die zu unschönen Ecken im Bild führen. Und, trivial, aber wahr, je mehr Arbeit man hier investiert, um so besser wird das Ergebnis. Schließlich sollte am Schluß niemand erkennen, daß es sich um eine vektorisierte Vorlage gehandelt hat. (ae)
[1] M. Gradias, Computergrafik in der Praxis, GMW, c/o IWF, Göttingen