Fachartikel

In den Jahren 1992 und 1993 erschien eine Artikelserie von mir in PHOTOMED', einer Zeitschrift für die wissenschaftliche Fotografie. Die Leser dieser Zeitschrift - vorwiegend Wissenschaftler - waren keine "Computerfreaks". Entsprechend sind alle Artikel allgemeinverständlich gehalten. Nachfolgend finden Sie alle erschienenen Artikel aufgelistet. Eine kurze Beschreibung zeigt Ihnen, worum es in dem Artikel geht.

Fachartikel

Die Entstehung eines wissenschaftlichen Unterrichtsfilms

Die Entstehung eines wissenschaftlichen Unterrichtsfilms

Computergrafik Teil 8: Heft 1/1993 (S. 146)

Die Visualisierung von äußerst komplexen Sachzusammenhängen will dieser Artikel schildern. Bestehende wissenschaftliche Fakten sollten in bewegte Bilder umgesetzt werden. Es wird über die Arbeit des Produktionsteams berichtet, das diese Aufgabenstellung bewältigt hat.

Autoren

Klaus Hausmann

Klaus Hausmann,
Prof. Dr., Freie Universität Berlin,
Institut für Zoologie,
AG Protozoologie
Königin-Luise-Straße 1-3
1000 Berlin 33

Michael Gradias
Sternhaus
3340 Wolfenbüttel

Wohl jeder erinnert sich an diesen oder jenen Unterrichtsfilm, durch den er während der Grundschul- und Gymnasialausbildung oder im Studium komplexe Sachverhalte aus dem Bereich der Naturwissenschaften in bewegten Bildern vermittelt bekam. Solche Filme wurden und werden noch aus guten Gründen dann eingesetzt, wenn schwierig zu demonstrierende Sachzusammenhänge oder selten erfolgende Phänomene den Lernenden nahezubringen sind.

In Deutschland gibt es zwei Institutionen, deren Aufgabe und Zielsetzung darin besteht, derartige Filme zu produzieren, nämlich das Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF), Göttingen, und das Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU) mit Sitz in München. Das IWF ist übrigens nach dem zweiten Weltkrieg aus dem FWU hervorgegangen. Beide Einrichtungen arbeiten im wesentlichen unabhängig voneinander, wobei das FWU mehr den schulischen und das IWF primär den universitären Bereich betreut. Das IWF pflegt bei der Produktion neuer Filme enge Kontakte mit Universitäten und Forschungsinstituten und ist hierbei nicht selten selbst in aktuelle Forschungsprojekte involviert. In der Regel sind es die Wissenschaftler selbst, die als Filmautoren auftreten, da es ihnen ein Anliegen ist, das von ihnen Erforschte einem weiteren Interessentenkreis – von Fachkollegen bis hin zu Studenten oder Gymnasialabsolventen - zugänglich zu machen. Von seiten des IWF wird das Projekt von einem wissenschaftlichen Fachreferenten betreut, mit dem die filmische Realisierbarkeit des anstehenden Problems überprüft und schließlich die Vorgehensweise, also das Drehbuch, abgestimmt wird. Die Filmaufnahmen werden in aller Regel von ausgebildeten Kameraleuten des IWF durchgeführt.

Abb. 1 bis 3: Als Bewegungsmotor liegt den Einzellergeißeln (Abb. 1) und -wimpern (Abb. 2) genauso wie beispielsweise dem Spermienschwanz der Maus (Abb. 3) die gleiche Axonemkonstruktion zugrunde, nämlich das 9 x 2 + 2-Muster (vgl. Abb. 4 und 5).

Unterrichtsfilm
Abb. 4: Ein Schnitt durch Geißeln zeigt im elektronenmikroskopischen Bild das typische 9 x 2 + 2-Mikrotubulimuster (Axonem).

Abb. 5 und 6: Quer- (links) und Längsschnitt eines Axonems im elektronenmikroskopischen Foto.

Unterrichtsfilm
Abb. 7: Überlagerung des elektronenmikroskopischen Schnittbildes mit einer dreidimensionalen Rekonstruktion des Axonems.
Unterrichtsfilm
Abb. 8: Freigestellte Axonem-Rekonstruktion in der Aufsicht.

Von jeher lag im Bereich der Biowissenschaften neben der Medizin ein Schwerpunkt in der Biologie. Hier sind insbesondere Themenfelder wie Verhaltensbiologie, Entwicklungsbiologie und Zellbiologie zu nennen, die nach einer filmischen Aufbereitung verlangen. Während es bei der einen Fachrichtung eher um die Darstellung und Analyse von Abläufen geht, die sich primär in unserer normalen Erfahrungswelt abspielen, gilt es bei anderen Fachdisziplinen, Vorgänge im Mikrobereich darzustellen, zu analysieren und schließlich didaktisch aufzubereiten. Und gerade um diese Problematik geht es in diesem Bericht, um das Aufbereiten.

In der Mikroskopie kann es ausgesprochen kompliziert werden, wenn man nicht als alleiniges Ziel vor Augen hat, Geschehnisse und Abläufe zu dokumentieren, sondern darüber hinaus Struktur- und Kausalzusammenhänge aufdecken möchte. Dieses gilt um so mehr, wenn Befunde aus der Elektronenmikroskopie mit einbezogen werden. Die aus diesem Mikroskopierbereich stammenden Ergebnisse sind zwar hochinformativ und liefern Einsichten bis in den Bereich der Makromoleküle, sind aber naturgemäß unbewegte und starre Bilder. Denn im Elektronenmikroskop herrscht ein absolut lebensfeindliches Hochvakuum, so daß in der Regel nur eigens für diese Mikroskopiermethode präpariertes, totes Material untersucht werden kann. Vielfach kommt noch erschwerend hinzu, daß die untersuchten Strukturen einen räumlichen komplexen Aufbau haben, der aus den normalerweise zweidimensionalen elektronenmikroskopischen Bildern rekonstruiert werden muß. Erst so kann man schließlich zu einem Verständnis ihrer Architektur und Funktionsweise kommen. Aus diesen Überlegungen wird klar, daß die Filmautoren und -produzenten vor spezielle Aufgaben gestellt werden, was die didaktische Aufbereitung des wissenschaftlichen "Primärproduktes" anbetrifft.

Ungeachtet der mit der Elektronenmikroskopie einhergehenden Erschwernis des Erschließens der dritten Dimension traten von jeher bei der Darstellung komplexer Sachverhalte immer wieder Verständnisprobleme auf. Bislang hat man sich in solchen Fällen mit erklärenden Skizzen oder, wenn unumgänglich, mit Zeichentrickanimationen weitergeholfen. Mit diesem Medium kann man unter vertretbarem Zeitaufwand nur relativ einfache Situationen anschaulich machen. Komplizierte Struktur- und Funktionszusammenhänge mußten vorerst unberücksichtigt bleiben.

Hier hat nun auch das IWF einen neuen Weg eingeschlagen, indem es sich der Computergrafik und -animation zuwendet. Das hört sich einfach und im Zeitalter der Computer geradezu selbstverständlich an, ist dann aber in der praktischen Arbeit doch nicht so einfach, wie am folgenden Beispiel aufgezeigt werden soll.

Unterrichtsfilm
Abb. 9: Zur Verdeutlichung der verschiedenen Bauelemente wurde eine Funktionseinheit des Axonems freigestellt und mit der "Computerkamera" herangezoomt.
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Abb. 10: Freigestellte Axonem-Rekonstruktion unter einem Blickwinkel von 30 Grad.
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Abb. 11: Freilegung des Innenbereichs des Axonems.
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Abb. 12: Simultane Darstellung einzelner Schlagphasen eines einzelnen Ciliums des Wimpertieres Paramecium in der Computerrekonstruktion.
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Abb. 13. Die Seitenansicht der Cilienanordnung hinterläßt im Standbild einen eher verwirrenden Eindruck, der erst durch die Animation aufgehoben wird.

Es handelt sich um den Film mit dem Arbeitstitel "Motilität". Motilität, also Bewegung, ist sicherlich ein ureigenes Phänomen der belebten Natur. Ja, man kann sagen: Wo Leben ist, da ist Bewegung. Bei der Analyse der vielfältigen Bewegungserscheinungen wird man feststellen, daß es auf zellulärer Ebene, also im mikroskopischen Bereich, im Grunde nur zwei bewegungszeugende Vorgänge gibt, nämlich die Plasmabewegung und die Flagellen- oder Cilienbewegung. Plasmabewegung zeigt sich bei einer vorwärts kriechenden Amöbe, bei Plasmaströmungen in Tier- und Pflanzenzellen und bei verschiedenen Kontraktionsvorgängen. Flagellen- und Cilienbewegung hingegen kennen wir beispielsweise von umherschwimmenden Geißel- und Wimpertierchen (Abb. 1 und 2), von der vorwärtstreibenden Aktivität der Spermienschwänze (Abb. 3) und von der schleimtransportierenden Wirkung der Flimmerepithelien in unseren Atemwegen.

Genau mit der Bewegungsmaschinerie Flagellum/Cilium setzt sich der erste Teil des als Trilogie angeleqten Films "Motilität" auseinander (Teil II wird die Interaktion Tubulin und Dynein sowie Aktin und Myosin, Teil III aberrante Motilitätsformen zum Inhalt haben). Nun mag man spontan der Ansicht sein, daß außer der mikroskopischen Darstellung verschiedener Ausprägungen des Geißel- und Wimperschlages keine spektakulären Einsichten zu erwarten seien. Auf lichtmikroskopischem Niveau trifft dieses bei flüchtigem Hinsehen wohl auch zu. Der elektronenmikroskopische Aspekt enthüllt aber eine Vielfalt von Details. Im Querschnitt zeigt sich nämlich eine erstaunlich konservative Strukturanordnung, die als "9 x 2 + 2-Muster" oder "Axonem" Eingang in die Lehrbücher gefunden hat (Abb. 4 und 5). Hierbei handelt es sich sozusagen um den Motor für den Flagellen- und Cilienschlag, Das, was im elektronenmikroskopischen Schnitt bei sehr hoher Vergrößerung in Form von aneinandergefügten Kreisen, Haken und Stäben zu erkennen ist, sind die zur Bewegungserzeugung notwendigen Makromoleküle. Wegen seines universellen Auftretens und damit der zentralen Bedeutung in den gesamten Biowissenschaften ist die dreidimensionale Rekonstruktion und damit ein besseres Verständnis dieses Bewegung erzeugenden, chemische in mechanische Energie umsetzenden Strukturkomplexes für einen zeitgemäßen Hochschulunterricht unabdingbar.

Die Darstellung eines elektronenmikroskopischen Schnittes durch ein Axonem als zweidimensionale Grafik ist sicherlich mit herkömmlichen Mitteln zu bewältigen. Die Umsetzung eines Axonemquerschnittes in die dritte Dimension ist bereits anspruchsvoller, aber auch noch mit konventioneller Technik und vertretbarem Aufwand zu realisieren (Abb. 7). Die dreidimensionale Vollrekonstruktion des Axonems und Animation des Modells, bestehend aus Kippung, Drehung, Zoomen sowie sukzedanem Abbau und Aufbau der einzelnen Elemente, ist jedoch manuell nicht mehr mit einem vertretbaren Aufwand durchzuführen (Abb. 8/10/11). Immerhin hat das "Hilfsgerät" Grafik-Computer für die Bewältigung dieser Aufgabe ca. 1.000 Stunden (= rund 42 Tage = 6 Wochen) Rechenzeit benötigt, galt es doch, die Anordnung von ca. 900.000 Ecken und damit ca. 300.000 Polygonen von ungefähr 8.500 Objekten in höchster Auflösung unter verschiedensten Winkeln zu berechnen.

Da bei einer Kippung um 360 Grad alle Teile des Gesamtmodells gezeigt werden, mußten vom Grafik-Computer stets für jede Phase alle Bausteine des Axonemmodells vollständig berechnet werden. – Für eine Sekunde realer Filmlaufzeit werden 25 Einzelphasen benötigt! Dadurch werden die extremen Computerrechenzeiten verständlich.

Der größte Arbeitsaufwand für den Computergrafiker lag in der zusammen mit den Filmautoren erfolgten Erarbeitung und der sich daran anschließenden Modellierung des Axonems, da eine möglichst naturnahe Wiedergabe in allen Teilen des Films gewährleistet sein mußte. Um einen optimalen didaktischen Aufbau des Gesamtfilms zu gewährleisten, sollten die Computeranimationen so weit wie möglich deckungsgleich mit den elektronenmikroskopischen Primäraufnahmen sein. Ziel dieses Teils der Animation war es, den globalen Aufbau des Axonems auf makromolekularer Darstellungsebene verständlich zu machen.

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, war es nötig, auf die leistungsstärksten Programme zurückzugreifen, die zur Zeit für Grafik-Computer erhältlich sind. Da aber allein mit diesen Programmen die Gesamtaufgabenstellung nicht bewältigt werden konnte, wurden vom Computergrafiker zusätzliche Programme entwickelt, die die fehlenden Programmfunktionen ergänzten.

Für die Gesamtkonzeption und Herstellung des Animationsteils des Films war ein Zeitraum von fast einem Jahr nötig. Dabei sind auch diejenigen Arbeiten berücksichtigt, die mit der Bildbearbeitung und Bildoptimierung der Originalaufnahmen zusammenhingen.

Natürlich gehört gerade zu einer derartig komplexen Rekonstruktion und Animation die Erfahrung und das Können eines Spezialisten, der das manuelle Grafikerhandwerk und anspruchsvolle Computergrafik gleichermaßen beherrscht. Daß dieser Spezialist darüberhinaus noch umfangreiche Programmierkenntnisse mit einbringen konnte, kam dieser extremen Aufgabenstellung in besonderem Maße zugute.

Die Rekonstruktion und Animation des Axonems auf makromolekularer Ebene ist ein Aspekt, der durch den Motilitätsfilm abgedeckt wird. Ein zweiter Aspekt fällt in den lichtmikroskopischen Bereich, ist aber um nichts weniger kompliziert, Es ist das Phänomen des "metachronen Wimpernschlages", das in seiner Entstehung und Kausalität erklärt werden sollte. Hierunter versteht man die Erscheinung, daß zum Beispiel die Cilien eines Pantoffeltierchens nicht chaotisch, sondern koordiniert, in einem hochgeordneten Muster schlagen und somit eine effektive Fortbewegung der Zelle gewährleisten.

Der Cilienschlag erfolgt mit einer hohen Geschwindigkeit (10 – 50 Schläge pro Sekunde beim Paramecium und ähnlichen Ciliaten) und durchläuft hierbei jeweils ganz bestimmte, fließend ineinander übergehende Phasen (Abb. 12). Der Ablauf des Cilienschlages ist mit Hilfe von Hochgeschwindigkeits-Filmkameras und Stroboskopblitzen (Aufnahmefrequenz von 250 Bildern pro Sekunde) in Seitenansicht und in Aufsicht mit jeweils unterschiedlichen Aspekten des Schlages festgehalten und analysiert worden. Die im Lichtmikroskop aufgrund von derzeit noch unüberwindbaren konstruktiven Hemmnissen nicht realisierbare Kamerafahrt von der Seitenansicht in die Aufsicht bei höchster Auflösung ist wiederum nun mit Hilfe von Computeranimation bewältigt worden.

Unterrichtsfilm
Abb. 14: Metachroner Cilienschlag einer Cilienreihe von Paramecium in der Computerrekonstruktion. Ansicht aus ca. 70 Grad. In diesem Fall soll die Konstruktion der Oberfläche gezeigt werden, die ausschließlich aus Polygonen besteht.

Wenngleich der lichtmikroskopische Aufbau der Cilien simpel ist, erfordert die Berechnung der Schlagrekonstruktion und Animation wegen des ausgesprochen komplexen Schlagmodus dieser Organellen beachtliche Computerarbeitszeiten. Diesmal mußten die natürlichen Gegebenheiten extrem pedantisch berücksichtigt werden. Eine zufriedenstellende Lösung bedurfte einiger Monate Konzeptions- und Konstruktionsarbeit. Die sich anschließende Berechnung der Zwischenphasen der Gesamtanimation wurde vom Grafik-Computer selbständig erledigt.

Der Film "Motilität" wird derzeit als ein Gemeinschaftsprojekt der Abteilung Protozoologie des Zoologischen Instituts der Freien Universität Berlin (Prof. Dr. Klaus Hausmann), der Abteilung für Zelluläre Erregungsphysiologie des Lehrstuhls für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie der Universität Bochum (Prof. Dr. Hans Machemer), des Grafischen Ateliers Gradias, Wolfenbüttel (Michael Gradias) sowie des Instituts für den Wissenschaftlichen Film (IWF), Göttingen (Dr. Dieter Haarhaus), produziert. Die Uraufführung vor einem internationalen Fachpublikum wird anläßlich des IX. International Congress of Protozoology in Berlin in diesem Jahr erfolgen.

Unterrichtsfilm
Abb. 15: Metachroner Cilienschlag von Paramecium im rasterelektronenmikroskopischen Foto.
Unterrichtsfilm
Abb. 16: Metachroner Cilienschlag von Paramecium in der Computerrekonstruktion. Der Unterschied zwischen Abb. 15 und 16 liegt darin, daß mit jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln auf den Einzeller geschaut wird.

Zusammenfassung


Am Beispiel des axonemalen 9 x 2 + 2-Mikrotubulimusters von Flagellen, Cilien, Spermienschwänzen etc. sowie des Schlagmusters von Cilien wird aufgezeigt, wie durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Zellbiologen, Filmherstellern und Computergrafikern statische, zweidimensionale licht- und elektronenmikroskopische Befunde in dreidimensionale Computerrekonstruktionen und -animationen umgesetzt werden.

Die Bearbeitung derartig komplexer Materien erfordert besondere Arbeitstechniken und konzeptionelle Überlegungen aller Beteiligten, um letztendlich zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen.

Summary

Production of a scientific educational film

The example of the axonemal 9 x 2 + 2 microtubular pattern in flagella, cilia and sperm tails, etc. shows how static two-dimensional light and electron microscope results can be transformed into three-dimensional computer reconstructions and animations by close cooperation between cellbiologists, film producers and computer graphics specialists.

Presenting complex matters like the one mentioned requires special techniques and concepts to be devised by all constributors in order to obtain an impressive result.

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